Der Wert des Glaubens

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Es gibt rhetorische Fragen. Das sind Fragen, die nur eine Antwort zulassen und deshalb nicht beantwortet werden müssen. Z. B. „Machen wir nicht alle Fehler?“

Die Antwort muss natürlich lauten: „Ja“, denn es gibt niemanden, der keine Fehler macht. Solche Fragen sind ein Stilmittel, um die eigene Meinung zu betonen und sein Gegenüber davon zu überzeugen, dass man richtig liegt. Genau dieses Stilmittel wendet Paulus im Römerbrief an:

Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? (Röm 8,35)

Diese Fragen müssen selbstverständlich beantwortet werden mit „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi. Nicht einmal Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert.“ Diese Konsequenzen sind für uns zum Glück sehr weit weg. Sie betreffen uns nur theoretisch. Paulus hat sie selbst erlebt und weiß, dass viele Gläubige zu leiden haben, weil sie an die Liebe Christi glauben. Viele Menschen werden auch heute noch wegen ihres Glaubens verfolgt, eingesperrt und hingerichtet. Nicht nur Christen, sondern auch Muslime, Hindus oder Buddhisten. Alle großen Religionen sind gleichermaßen Verfolgte und Verfolger, Opfer und Täter, Unterdrückte und Unterdrücker. Es hängt nur davon ab, wer in welcher Region die Mehrheit stellt und wer die Minderheit. Aber warum gehen sie keine Kompromisse ein? Wieso ist ihnen der Glaube so wichtig, dass sie sogar ihr Leben dafür opfern, ihre Gesundheit oder ihre Freiheit? Was ist daran so wertvoll? Ich will die Antwort verdeutlichen an Gedanken des Franziskanerpaters Richard Rohr: Wir brauchen einen Ort, der umfassend ist. Dort ist Raum, damit wir jeden Teil unserer Existenz bejahen und annehmen können. Dieser Ort ist größer als Ja oder Nein, also größer als alle Urteile, die wir fällen oder die über uns gefällt werden. Wir brauchen diesen Ort, an dem wir einfach empfangen können, ohne uns gleich zu fragen, was wir selbst im Gegenzug dafür geben müssen. Das ist ein Ort, an dem wir sein können, wie wir sind, ohne uns dafür rechtfertigen zu müssen. Da dürfen auch die Dinge zum Vorschein kommen, die sonst niemand weiß und die niemand sehen darf, weil sie nur mit Unverständnis reagieren würden. So ist nur der Ort des Glaubens und wer ihn einmal in seinem Leben betreten und seine heilende und vergewissernde Kraft gespürt hat, will von dort nie wieder weg. Dieser Ort ist so wertvoll, weil er umfassend ist: Damit meine ich, dass hier nicht nur das da sein darf, was in unserem Leben geworden ist. Hier hat auch das Platz, was nicht sein durfte oder konnte, die Dinge, die wir gern getan hätten, zu denen wir aber nie gekommen sind: Gelegenheiten, die wir verpasst haben und falsche Entscheidungen, die wir bis heute betrauern.

Wer diesen Ort wirklich betreten hat, dem wird klar, dass Gott nicht so ist, wie uns oft erklärt wird: Er ist nicht moralisch oder gesetzlich, kleinkariert oder rachsüchtig und nachtragend. Gott ist so, wie Paulus es im 8. Kapitel des Römerbriefes beschreibt: Gott ist die Liebe und sie ist unzerstörbar. Weder Hohes noch Tiefes noch Zukünftiges, ja nicht einmal die Kräfte des Todes können ihr etwas anhaben.

Leider können wir das nur sehr schwer glauben. Der Kapitalismus verformt den Glauben so sehr, dass wir diese Liebe nicht mehr verstehen. Wir machen einen Wert daraus, den man sich verdienen muss – auch in der Gemeinde z. B. durch Mitarbeit, ein ethisch einwandfreies Leben oder die tägliche Morgenandacht. Dann wird aus dem Glauben plötzlich ein abzuleistendes Pflichtprogramm, das man zusätzlich zu den anderen Aufgaben auch noch schaffen muss. Wer glaubt in unserer Welt der Leistung und ständigen Produktivität, dass wir für nichts anderes geliebt werden, als dass es uns gibt? Wir versuchen dauernd, gute Menschen zu sein. Das ist das, was man sich erarbeiten und verdienen kann. Dafür kann man etwas tun. Darum geht es aber im Glauben nicht, denn gut können auch Menschen sein, die keine Spiritualität kennen. Es geht darum, heilig zu sein – und heilig sind wir, ohne etwas dafür zu tun. Wir sind es, weil Christus uns liebt. Das ist die ganze Botschaft von Ostern.