Feindesliebe

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Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet (Matthäus 5,44-45)

Die meisten Menschen kennen diese Forderung von Jesus in der Bergpredigt, die der Monatsspruch für Juli 2023 ist und finden sie ausgesprochen schwierig. Deshalb verlegen sie sie in das Privatleben.

Dort kann sie jeder für sich umsetzen oder auch nicht. Wenn zum Beispiel der Nachbar mal wieder sein Auto so ungünstig geparkt hat, dass man mit dem eigenen Auto kaum daran vorbeikommt, dann schnauzt man nicht herum, sondern lächelt freundlich und erträgt die Unverschämtheit. Mit einer solch harmlosen Umdeutung können wir uns diesen Satz vom Leib halten.

Diese Aussage ist aber nicht für das Privatleben gemeint, sondern hat eine gewichtige gesellschaftliche Dimension. Ich meine, Jesus hatte ganz andere Situationen vor Augen als einen Nachbarschaftsstreit. Er denkt an wirkliche Feinde, also Menschen, die sich gegenseitig töten wollen. Ich bin leidenschaftlicher Podcast-Hörer und habe neulich eine Folge „Lanz & Precht“ gehört. Markus Lanz erzählte von einem Gespräch mit einem Söldner, der aus Deutschland in die Ukraine ging und sich deren Armee in ihrem Kampf gegen die russischen Invasoren anschloss. Er erzählte von den russischen Soldaten, die in Butscha Zivilisten, die sie auf der Straße antrafen, ohne Vorwarnung in den Kopf schossen. Er berichtete auch von drei russischen Kriegsgefangenen, die von ukrainischen Soldaten in ein kleines Wäldchen geführt wurden. Man hörte drei Schüsse und die Ukrainer kamen allein wieder zurück. Das tun Feinde einander an und so erschütternd es klingt: So etwas muss man sich unter dem Begriff „Feinde“ vorstellen. Erst dann versteht man das ganze Ausmaß der Provokation, die in dieser Forderung steckt. Menschen, die zu so etwas fähig sind, soll man lieben und auch noch für sie beten?

Jesus fordert immer wieder Zurückhaltung und zeigt die Konsequenzen von Gewalt auf. In den Seligpreisungen preist er die Friedensstifter glücklich und prophezeit, diejenigen werden durch das Schwert umkommen, die es selbst benutzen. Er hatte eine klare Sicht auf die Mechanismen, die aus Gewalt immer neue Gewalt erzeugen. Wir sehen es derzeit wieder in der Ukraine: Die einzige Lösung, die uns gegen Aggression und Unrecht einfällt, ist, selbst Gewalt anzuwenden. Verbale Gewalt, indem man jeden für unzurechnungsfähig erklärt, der sich für Verhandlungen ausspricht und ganz praktische Gewalt, indem wir aufrüsten und Waffen liefern. Jesus schlägt eine andere Lösung vor: Statt Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten, soll man einen Schritt zurücktreten und dem anderen signalisieren, dass man keine Bedrohung für ihn ist. Seine Feinde zu lieben kann man umschreiben mit dem Mut, ohne Zorn zu leben, ohne Furcht und ohne Rachegefühle. Das erfordert tatsächlich Mut, denn das Ergebnis darf man nicht romantisieren. Jesus hat diese Lebensweise den Tod gebracht, der brutaler kaum sein könnte. Dennoch hat er diesen Weg gewählt, weil er ihn für den einzigen Ausweg gehalten hat aus einer Welt, die eine bis ins Unermessliche gesteigerte gegenseitige Bedrohung mit Atombomben und Wasserstoffbomben nicht länger aushält, ohne zu zerbrechen. Er konnte es, weil er an eine Hoffnung geglaubt hat, die über dieses Leben und über diese Welt hinausgeht. Diese Hoffnung auf Ewigkeit ist es, die auch unser Leben trägt. Wenn wir diesem Weg von Jesus folgen, gibt er uns – auch das ist prophetisch – eine wunderbare Verheißung: Wir werden Kinder unseres Vaters im Himmel sein.